Zu den Arbeiten von Thomas P. Kausel
Konkrete Kunst – Elementare Kunst
von Eugen Gomringer
Die fortgesetzten theoretischen Untersuchungen der Farbordnungssysteme,
ausgehend von den knapp 200 weltweit bekannten Pigmenten hoher Licht-
echtheit, durch Thomas P. Kausel und deren Anwendung in der eigenen
Malerei werfen ein bestimmtes Licht auf Begriff und Praxis der Konkreten
Kunst. In seiner Grundsatzerklärung mit der der Josef-Albers-Didaktik ent-
lehnten Überschrift „Welches ist das blaueste Blau?“ sieht sich Kausel zwar
im großen Rahmen der Konkreten Kunst, wobei er jedoch der historischen
Forderung „Die Befreiung vom Naturvorbild“. die „gleichzeitige Unterwer-
fung unter neue Gesetzmäßigkeiten, z.B. unter ein Farbordnungssystem“
folgen lässt. Damit ist der alte Rahmen sowohl akzeptiert wie auch auf eine
neue Gesetzmäßigkeit hin geöffnet. Mehr noch: Was sich zum Beispiel bei
Georg Schmidt 1944 in Basel noch als „gebunden an die Naturgesetze“ liest,
erhält durch die Formulierung von Kausel eine pragmatische Thematik.
Es fragt sich in der Folge, ob der alte Begriff der Konkreten Kunst durch
Kausels Untersuchungen und nicht weniger Grenzüberschreitungen anders
operierender Künstlerinnen und Künstler überhaupt noch haltbar bzw. sinn-
voll ist. Es besteht die seltsame Situation, dass der Begriff „Konkrete Kunst“
-fast über Erwarten möchte man sagen – zu einem festen Begriff geworden
ist und oft unreflektiert weitherum Verwendung findet. Dabei ist daran zu
erinnern, dass die Befürworter der strengsten Auffassung, wie die
Künstler aus der Reihe der sogenannten „Zürcher Konkreten“, ihre Ausstellungen
anfänglich – 1944 und 1945 – unter dem Thema „abstrakt-konkret“ durch-
führten und dass man, als man sich von der Abstraktion endgültig abge-
zweigt hatte, die Bezeichnung „konkret“ ebenfalls schon bald obsolet wer-
den ließ. Die echten Konkreten waren die ersten, die den Begriff fallen lie-
ßen zugunsten genauerer Bezeichnungen. Schon 1957 hatte sich auch der
führende Theoretiker der jungen Malergeneration, Karl Gerstner, von ihm
verabschiedet bzw. brauchte ihn nur noch „behelfsmäßig“ und quasi als
Hommage an Hans Arp.
Die heute wahrzunehmende nachträgliche Verfestigung des Begriffs
„Konkrete Kunst“ könnte mit einem „also doch“ abgeschlossen werden, um
das Theoriegebäude befriedigt sich selbst zu überlassen, wenn es nicht gera-
de dieser Bewegung eigen wäre, neue Gesetzmäßigkeiten als ihr Agens und
glaubwürdige Überzeugung höher einzuschätzen als alles Einhalten formaler
Regeln (was diese aber nicht ausschließt). Tatsächlich hat sich im Lauf der
Jahrzehnte vielerlei abgespielt, was sich kaum noch unter „Konkreter
Kunst subsumieren ließ, aber dennoch setzte sich der Begriff nun einmal
durch. Er war da und er ließ sich als Gegensatz zur Abstraktion auch dort
verkaufen, wo, wie gesagt, über diese Dinge nicht reflektiert wird.
Wenn jedoch ein Künstler wie Kausel mit der Malerei einsetzt, bevor die-
se ein formales Programm realisiert, also mit dem Stoff der Malerei selbst
zum Bild gelangt, muss das Fundament des Konkreten auf alle Fälle tiefer
gelegt werden. Darin wird übrigens eine Parallele ersichtlich zum Prozess
der Herstellung einer Installation, welchen der Schreibende einmal mit der
Metapher beschrieb: „Konkrete Kunst beginnt mit dem Gang zum Bau-
markt, wo die richtigen Schrauben eingekauft werden“. Auch in diesem Fall
werden die ersten Maßnahmen vor der eigentlichen Konstruktion als kon-
krete geistige wie stoffliche Leistung bewertet. Die Beispiele der Malerei
von Kausel wie dasjenige der Installation zeigen auf, dass dem Begriff des
Konkreten in der Konkreten Kunst nicht nur die frühen Zweifel der Fünfzi-
gerjahre des letzten Jahreshunderts anhängen, sondern dass auch, aktuell, das
Verständnis dafür, welche Rolle das Konkret ein der Konkreten Kunst
spielt, neue zu definieren ist.
Thomas P. Kausel fordert in seiner programmatischen Erklärung, dass sich
Konkrete Kunst in der Malerei zum Beispiel dem Farbordnungssystem der
200 Pigmente hoher Lichtechtheit – total sind es 600 Pigmente – unterwerfe.
Dieser positivistisch vorgetragene Ansatz steht in krassem Gegensatz zu
verschiedenen, meist diffusen Programmen einer Malerei des Malens, wel-
che schliesslich in irgendeiner Form der Reduktion und der Negation enden.
Kausels neue Bewegung bedeutet alles andere als das Ende der Malerei und
der Kunst: sie ist deren Wiederaufnahme. Denn „Der Vorgang des Malens
in Relation zur Qualität der erreichbaren Resultate wurde mehrfach zu erfor-
schen versucht (z.B. von Robert Ryman). Aber bis heute fehlt eine systema-
tische Übersicht der hierfür zu benutzenden Substanzen (wie z.B. Farbe).“.
(Kausel).
Und dass diese Bewegung auch einen langen Atem haben wird, ist voraus-
sehbar, hat doch Kausel allein an der Untersuchung der 14 blauen und der 8
violetten Farb-Pigmente mehrere Jahre gearbeitet, bevor er sie jetzt in seinen
Ausstellungen im In- und Ausland einem die Farbe wieder entdeckenden
Publikum präsentieren konnte.
Wie elementar, pionierhaft Kausel die Beschäftigung mit der Farbe ver-
steht, zeigt sein Vorgehen. Er zeigt auf, wie die Farben wirklich sind, zum
Beispiel als monochrome Fläche, aber gleichzeitig auch, wie sie sich verhal-
ten zu chemisch benachbarten Pigmenten. Damit leistet er Vorarbeit zum
Studium der durch Josef Albers in den Sechziger- und Siebzigerjahren wirk-
sam verbreiteten „Wechselwirkungen der Farbe“. Kausel präpariert sozuzsa-
gen die „factual facts“ der Farbwahrnehmung. Das sich auch die
von Albers besonders herausgearbeiteten „actual facts“ (die psychische
Wirkung) der Wechselwirkungen einstellen, trotz der überhaus sachlichen
Behandlung durch Kausel, besteht kein Zweifel. Sie funktionieren auf jeden
Fall organisch.
Zu den Untersuchungen des Künstlers zählen selbstverständlich auch die
denkbar verschiedensten Malgründe, deren Reaktionen – Interaktionen –
interessante Vergleiche ermöglichen und den Spielraum um einige Variab-
len erweitern. Als Demonstrationsobjekte dienen ihm zur Zeit die 14 Blau
auf Büttenpapieren. Kausel befindet sich in seiner produktiven Phase des
Experiments und der Erprobung. Den pragmatischen Charakter macht er
deutlich sichtbar durch die plakative Benennung der gezeigten Pigmente in
Form großer Chiffren der auch zur Kennzeichnung von Transportkisten
verwendeten Schablonenschrift. So prangt also beispielsweise ein großes „B
33“ am Rande eines Farbfeldes als der internationale Name des Pigmentes
Barium-Mangan. In solchen Vorgängen erlaubt sich der Künstler auch
Scherze und kleine Versteckspiele, indem er ein Zeichen spiegelverkehrt
dreht, um die Lesegeschwindigkeit herabzusetzen, Hilfszeichen hinzusetzt,
um eine bestimmte Leserichtung – bei Verwendung mehrerer Farben- vor-
zuschlagen. Der Beobachter wird dadurch für ein spezielles Blau gewonnen.
Bei Farbfeldern ohne sichtbaren Aufdruck (der Name des Pigments steht
dann auf der Rückseite, ähnlich wie Albers die Farben aus der Tube be-
nennt, der ja für die lapidare Tatsache einer Malerei ohne Symbolik und
Metapher steht), ist die Zuordnung zur monochromen Malerei nicht auszu-
schließen. Der Unterschied besteht in der Intention und dem Konzept. Vor
der monochromen Malerei bekannter Art stehen immer noch die elementa-
ren Überlegungen von Kausel, sodass sich monochrome Malerei und Farb-
feldmalerei zu den Farbbildaussagen von Kausel abbildmässig verhalten.
Kausel liefert eben die Partitur mit.
Die angeführten Überlegungen mögen ein weitres Mal die Frage nach der
Substanz des Konkreten und seiner Rolle in der Konkreten Kunst aufwerfen.
In der Malerei fällt diese Rolle zweifellos den Pigmenten und ihrer Ordnung
zu. Die Tieferlegung des Fundaments ist der Schritt vom allgemeinen Konkre-
ten zur elementaren Substanz. Selbst wenn der Begriff des Konkreten wei-
terhin Verwendung findet – außerhalb eingebürgerter Institutionen und in –
ternationaler codes-, wird man ohne den Zusatzbegriff des Elementaren die
wirkliche Sache der Konkreten nicht mehr behandeln können.
Von Grund auf Kunst
Das Werk von Thomas P. Kausel
Eugen Gomringer
Die zunehmende Diskussion in den Bereichen der Konkreten Kunst über den
Materialbezug, die materielle Beschaffenheit eines Werks, hat nicht nur den Weg
zum Baumarkt, wo Schrauben gekauft werden, ins Blickfeld rückt – mehr noch ist
es die Farbe als physikalisches und chemisches Phänomen, die zum Mittelpunkt
geworden ist. In seltener Konzentration zeigt sich das am Werk von Thomas P.
Kausel, das heißt in seiner mit wissenschaftlicher Akribie durchgeführten Durchsicht
und teilweisen Neubestellung der (seit 1971) bestehenden Pigmentliste, auf deren
Grundlage er seine Bilder konzipiert. Allerdings nicht nur, aber entscheidend und auf
alle Fälle auch offensichtlich. Der Titel, den Kausel selbst schon seiner Ausstellung
gab: “Farbe be-kennen” ist tatsächlich auf die Silbe genau für sein Vorgehen und
auch für sein Be-kenntnis zutreffend. Auch hieß es schon von ihm, ebenso zutreffend,
er würde sich bewußt in die Karten schauen lassen.
Alle Maler haben sich nicht nur subjektiv, sondern auch mit dem, was sich als
objektive Erkenntnis über Farbe während der Jahrhunderte angesammelt hat,
beschäftigt. In den uns noch nahestehenden Jahrzehnten seit dem Aufbruch der Kunst
in der Nachkriegszeit erscheint die Beschäftigung mit der Farbe jedoch als eine
Conditio sine qua non. Dies geschah deutlich in zwei verschiedenen Weisen, in denen
man letztlich den psychologischen Zweig und den materialistischen Zweig
wiedererkennen könnte, wobei sich beide Zweige wiederum differenzierter
Behandlung aussetzten, zum Beispiel sah Josef Albers in der Farbe in erster Linie ein
psychologisches Problem, das in seiner Sublimierung gewiß nichts zu tun hatte mit
der als Mittel zur Erzeugung von Spannung eingesetzten Farbe im action painting.
Andererseits ist die andere Art Prozeßkunst nicht zu übersehen, auch wenn sie sich
nicht ähnlich in Szene zu setzen vermochte – erinnert wird an die Kunst, die
physikalische, biologische und chemische Prozesse vorsichgehen ließ. Die Farbe
spielte dabei nicht in dem Maße eine Rolle, wie dies in einer Ausstellung im Jahr
1970 (eingerichtet und geleitet von Dietrich Mahlow und Eberhard Roters) in
Nürnberg der Fall war. Die Ausstellung stand unter dem Thema “Der Bildungstrieb
der Stoffe” und ging von den Untersuchungen des Chemikers Friedlieb Ferdinand
Runge (1794 – 1867) aus. Das Thema der Ausstellung war dabei der Buchtitel seiner
Publikation, die ein chemisches Bilderbuch mit Kommentaren war. Worum es Runge
ging, zeigt das folgende Zitat: Der Bildungstrieb mal in seiner Art nicht nur besser,
als irgendein Maler malen kann, sondern er macht sich auch die Farben selbst, daher
die wunderbaren, unnachahmlichen Farbentöne, eben weil dem Maler die Farben
dazu fehlen. – Die Entstehung des Bildes fällt also mit der Entstehung der Farbe
zusammen oder umgekehrt: indem sich die Farbe, d.h. die gefärbte Verbindung aus
den chemisch entgegengesetzten Stoffen bildet, gestaltet sich das Bild. Die chemische
Wechselersetzung der Stoffe muß also von bestimmten Bewegungen begleitet sein,
die nach und nach als Bild zur Ruhe kommen, aber erst ganz aufhören, wenn alles
trocken geworden; man kann sagen, das noch nasse Bild lebt noch, weil es
wenigstens am Rande noch “wächst”.
Auch wenn Kausel den “Bildungstrieb” der Farbe nur als eine Möglichkeit,
der Farbe zu ihrem Recht zu verhelfen, erwägt – “man muß sich befreien und es ihr
ermöglichen, eine Fläche zu erobern, zu besetzen, damit sie zeigen kann, welche
Qualitäten in ihr stecken” (Kausel)-, so ist auch bei ihm die Objektivierung der Farbe
bzw. ihre Verselbständigung die vornehmliche Art, ihr zu begegnen, mit ihr
umzugehen. Als direkter Gegenpart zu ihm innerhalb der Farbe-Bekenner unter den
Künstlern ist andererseits der große Empiriker der Farbe, Josef Albers, anzuführen.
Zwei Punkte, die er seinem fundamentalen Werk “Interaction of color” von 1963 mit
auf den Weg gab, stellen es klar: “Farbe ist nicht in erster Linie ein physikalisches,
sondern ein psychologisches Phänomen. Wir sehen Farbe fast nie als das, was sie ist;
Farbe ist deshalb das relativste Medium der Kunst und es gibt nie nur eine einzige
Lösung für visuelle Formulierungen.” Trotz dieser Akzentsetzung auf das
psychologische Phänomen Farbe und der Verlagerung ihrer Erscheinung in die
Wahrnehmung, mag sich für Kausel damit ehr ein Ring schließen als eine
unüberwindliche Entzweiung entstehen lassen. auch der Aspekt, den der Schweizer
“Dämon der Farbe”, Karl Gerstner, zu einem wahren Wissenschaftszweig
ausgearbeitet hat: die Formen der Farben, die Ausdruckskraft von Farben und Formen
und ihre Wirkung aufeinander, leistet Hilfestellung, wenn denn die Eigenschaften der
Farbpigmente von Grund auf die Gestalt Konkreter Bilder bestimmen sollen. Denn
nach Kausel ist ein Objekt an der Wand letztlich nur mit Farbmaterie bedeckte
Leinwand, was sicher auch Max Bense gebilligt hätte, der auch schon mal theoretisch
die ganze Malerei auf ein Transportproblem reduziert hatte: auf den Transport von
Farbe von der Palette oder der Tube zu bestimmten Stellen auf Leinwänden.
Kausels Beschäftigung mit Farbe und Malerei ist leidenschaftliches Suchen und
Experimentieren. Dabei macht er seine Entdeckungen, und sein ganzes Arbeiten ist
ein einziges work in progress. Mit ein Grund, daß es in seiner Person zu diesem
echten Grundlagenstudium -neuerdings ausgeweitet auf Papier – und Oberflächen-
probleme – kam, mag sein Einstieg in die Kunst der Malerei sein. Da war keine satte
Akademieausbildung am Anfang, sondern es war der Kameramann von Beruf, der
sich der Malfläche näherte. So weit näherte, daß er die Malfläche mit der Farbe nicht
als Darstellung von irgendwelche Projektionen erlebte, sondern als Materialqualität.
Malerei studierte er eigentlich als Nachholbedarf. Die Sommerakademie Salzburg bot
ihm Kurse bei Vedova, Chia u.a., ja er studierte bei so unterschiedlichen Naturen wie
G.K.Pfahler und Hermann Nitsch. Anders als diese Lehrer ging er jedoch den
Dingen, die schließlich Malerei darstellen, mit wissenschaftlicher Neugier auf den
Grund. Im Kern der heute weitgespannten Sphäre der Konkreten Kunst war
wissenschaftliche Nähe, ja propagierte Symbiose von Kunst und Wissenschaft immer
eine Idealvorstellung, die auch bei einzelnen Künstlern, wenn auch wenig gewürdigt
weder von der einen noch der anderen Seite, eine neue Funktion übernahm. Mit der
Arbeit von Kausel wird diese Bestrebung intensiver denn je, das heißt in einer
Verbindung von Wahrnehmung mit Materialstudium fortgesetzt.
Für die Herstellung eines Bildes – so sachlich ist der Vorgang zum Teil –
bewegt Kausel einen Komplex von objektiver Information und subjektiven
Entscheidungen. Der Chemiker Runge und der subjektive Empiriker Josef Albers
leben auf in dem, was Kausel fortsetzt in seinen Versuchen, die Malerei von Grund
auf neu zu beleben. Es treffen sich in einer Analyse folgende Komponenten: Die, wie
gesagt, akribisch durchforstete Pigment-Liste ist gewiß die Grundlage, die man sich
bei dem Künstlerin München einholen kann. Und da Maler nun mal nicht mit
Farbstoffen, sondern mit Pigmenten arbeiten, sollte man wirklich einmal den Blick
des Betrachters auf das “Bildermachen” lenken, um der Wirklichkeit der Kunstnäher
zu kommen, bevor diffizile Fragen des Weiterlebens der Kunst überhaupt diskutiert
werden – aus spezifisch Konkreter Sicht scheint das Eine ohne das andere nicht
möglich zu sein.
Dennoch: malen muß der Pigment-bewußte Künstler auch im Sinne einer
Bildordnung. Kausel hat eine Konzeption dafür entwickelt, wie auf einer Leinwand
die Welt in natur und Geist sich sinnvoll spiegelt. Was er ursprünglich der sichtbaren
Natur entnommen hat, Landschaft und Meer, hat er in die Symbolik von Grün und
Blau transformiert. Die Farbtonskala Magenta-Rot-Orange-Warmgelb erinnert an den
weiblichen Körper. Er denkt an Landschaft, wenn er die Farbe Grün wählt, läßt sich
von ihr inspirieren. auch denkt er horizontal, wenn er Landschaft, also blau und grün,
denkt. Die Vertikale dient er Teilung, die Rauenform ist weiblich. Das ist einfach
und signifikant. Und es läßt Freiraum, um sich dem Aufbau der Farbe zu widmen.
Aber Kausel spricht eigentlich nicht gern vom Malen von Bildern. Das Ganze findet
für ihn eher auf einer Bühne statt, bzw. stellt er eine Art Bühnen her. In diesem Fall
wäre er Regisseur, der über Darsteller, Licht, geistige Substanz, bewegliche
Bühnenbilder zu verfügen hätte. Während alle diese Vorstellungen sicht nicht fixieren
lassen und das Bewegliche an der Herstellung eines Bildes stiften, ist die Wirklichkeit
des Bildermachens auf alle Fälle aufgehoben in den Pigmenten.
Und das ist eine Welt. Kausel treibt Aufklärung seit Jahren und hilft seinen Kollegen
mit detaillierten Informationen der immer wieder verbesserten Pigment-Liste, wobei
er, wie angedeutet, die eine Liste, die der anorganischen Pigmente, welche der
amerikanische Colour Index C.I. vorwiegend alphabetisch anbietet, in eine
systematische Übersicht “unter Anlehnung an das Periodische System der Elemente,
gruppiert in 10 Gruppen (nach H. Kittel 3.211 Systematik(” abänderte. Er zeigt aber
eben auch als Maler und Teilnehmer vieler Ausstellungen, was das Malen mit
Pigmenten denn nun wirklich bringt. Es lohnt sich, wie nur in wenigen Fällen, die
Einladungskarten zu seinen Ausstellungen aufzubewahren und sich ihrer bis zum
Kleingedruckten anzunehmen. Es ist dies ein neuer Zugang zur Kunst – und auch ein
altbewährter.
Kausel demonstriert mit eigenen Beispielen, was es heißt, “bewußt in die
Karten schauen zu lassen”. Auf einer zweigeteilten ungerahmten Fläche ist auf der
einen Hälfte mit großem Schablonendruck wie einer Verpackung “R 112”
(Handelsname Naphtolrot) angezeigt. Der Code ist der Liste der Rot-Pigmente
entnommen. Die andere Hälfte ist monochrom mit eben dieser Farbe bemalt. Von
zwei daneben stehenden kleinen Tafeln ist die eine, frei von Beschriftung, mit einer
anderen Farbe (nämlich “R 122 Chinacridon-Magenta”), die andere hingegen wieder
mit Naphtolrot bemalt. Es sind monochrome Bilder, hochformatige Rechtecke. Damit
nicht genug. Rot hat von Kausel auch die Symbolik “weibliches Fleisch” zugeordnet
bekommen, und überdies – formal – die Rautenform. An der gleichen Wand hängen
zwei auf die Spitze gestellte Quadrate, die, geteilt durch eine senkrechte Diagonale,
die beiden Farben “R 112” und “R122” vorzeigen, und zwar abwechselnd links und
rechts. Eine runde, perfekte Demonstration vom Pigment-Code zur romantisch-
symbolischen Malerei! Ähnlichen Verfahren begegnet man auch auf Leinwänden.
Es scheinen allerdings die Papierarbeiten den Künstler in letzter Zeit
besonders zu beschäftigen. Er ist dem handgeschöpften Büttenpapier geradezu
verfallen und versucht mit ihm im Verein mit der Farbe etwas zu erreichen, nein ihm
abzuringen, das letzte Steigerungen ermöglicht. Es muß gestattet sein, den Künstler
selbst zu zitieren: “Schleifen: Seit einigen Monaten (Brief datiert vom 26.10.1998)
schleife ich manchmal das (strukturierte, also teilweise erhabene) Papier, um die
Fasern zu verletzen. An diesen geschliffenen Partien des Papiers wird mehr
Farbsubstanz vom Papier aufgesaugt – hier wird die Papierfaser sozusagen innerlich
mit Farbe angereichert. Bei transparenten/lasierenden Pigmenten erscheint der hier
dickere Farbfilm dunkler und die Sättigung des Farbtons nimmt zu.”. (Das Wort
“verletzen” ist übrigens vom Künstler unterstrichen worden). Alle Aussagen von
Thomas P. Kausel deuten auf den prozessualen Charakter seiner Arbeit hin. Er
verbindet sein Leben mit der Entdeckung von Erkenntnissen oft in kleinen Schritten.
Kausel hat also statt von Malerei wiederholt von Bühne und Podium
gesprochen, auf denen die sich darstellende, präsentierende Farbe agiert. Und er hat
sich auch die Frage vorgelegt, die sich vermutlich im Umgang mit Bühne und Theater
eher stellt als in der Malerei, was denn das Werk überhaupt für einen Zweck hätte?
Ist er mit seinen Untersuchungen und ihrer Darstellung an Grenzen gestoßen? Aber
sein Interesse geht weiter, denn “Wird ein nur an der Oberfläche geleimtes Papier
geschliffen, so erscheint im Gegenteil die verletzte Stelle heller, denn: Offenbar
verteilt sich die aufgetragene Farbmenge auf ein größeres Volumen an Papierfasern
(in der Tiefe der gesamten Papiermasse), anstatt sich nur auf begrenzter Oberfläche
beim Trocknen zu verdichten”. Es ist jedem Betrachter von Kunst wert, sich mit
solchen vom Künstler gemachten Erfahrungen ebenfalls vertraut zu machen. War das
nicht früher ähnlich mit den verschiedenen Ätzungen und den Farbablagerungen, dem
Grat auf beiden Seiten?
Sollte die Frage Kausels über den Zweck solchen Tuns, nach dem Forschen nach
immer höherer Qualität jedoch das Existentielle überhaupt berühren, müssen seine
Arbeit, sein Werk gesehen werden im Zusammenhang mit der Erweiterung der
Übermittlung von Botschaften, die auf neuen Codes, auf einer neuen Universalebene
beruhen. Vielleicht erbringt der ehemalige Kameramann und Fotograf letzte genuine
Leistungen der Malerei, im Vergleich wenigstens zu den Technobildern unserer
Alltagswelt. Auf alle Fälle ist seine Arbeit auch im Rahmen einer neu kodifizierten
Welt zu bewerten. Denn was der ATLAS von Gerhard Richter für sein Werk
bedeutet, das bedeutet der Pigment-“Atlas” von Kausel ebenso für dessen Werk, und
überdies für alle Malerei, die sich auf Grundlagen besinnt.
Eugen Gomringer